In den letzten 30 bis 40 Jahren glänzte die Mannheimer Kunsthalle immer wieder mit ihren – über Jahrzehnte im Depot und im Graphischen Kabinett versteckten – Juwelen ihrer Expressionisten-Sammlung: ob es sich um Gemälde, Skulpturen, graphische Blätter handelte, die Überraschung war immer groß. Einem Außenstehenden schien es, als ob mit Zauberhand neue Schätze über Nacht in der Sammlung eingetroffen wären. Denn bei jeder neuen Ausstellung mit Bezug zum Expressionismus fand sich eine Zeichnung oder ein Blatt (oder auch ein Kataloghinweis) an eine Skizze, eine Zeichnung oder ein Gemälde eines Expressionisten.1/
1905 hatten in Dresden die Künstler Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel und Karl Schmidt-Rottluff die Künstlergruppe Die Brücke gegründet, die aus den Salons in die freie Natur buchstäblich ausgebrochen waren, um neue Inspiration und neue Natürlichkeit auf ihre Leinwände zu bringen. Auch die Bildhauer sehnten sich nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten fern von römisch-griechisch klassischen Vorgaben, die sie immer noch an den Akademien als Grundlage erlernen mussten.

Foto: Kunsthalle Mannheim
Einer dieser jungen Männer war der Bildhauer und Maler Wilhelm Lehmbruck. In der Ausstellung „Zeichnungen und Plastiken neuzeitlicher Bildhauer“ 1914 war er ebenfalls dabei. Schon damals reiften in den Überlegungen der beiden leitenden Persönlichkeiten der Kunsthalle, dem ersten Direktor Fritz Wichert (1878-1951) und Gustav Friedrich Hartlaub (1884-1963)2/ dem zweiten Direktor, eine größere Präsentation von Lehmbrucks Werk zu zeigen, den sie als Begründer einer neuen Richtung in der Skulptur sahen.
1912 war in der Kunsthalle der Begriff „Ausdrucks-Plastik“ geprägt worden, um den neuen Stil in der Bildhauerei zu benennen. Die beiden führenden französischen Bildhauer und Antipoden – einerseits Auguste Rodin und andererseits Aristide Maillol – hatten dieser „expressionistischen“ Plastik nicht Pate gestanden. Der wichtigste Bildhauer dieser neuen deutschen Künstlergeneration war zweifelsohne Wilhelm Lehmbruck. Eine Fotografie, vermutlich im November 1916 vor der Kunsthalle entstanden, zeigt Wilhelm
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1/ Die scheidende zweite Direktorin der Kunsthall, Inge Herold , hat einen sehr informativen und klar strukturierten Beitrag zum deutschen Expressionismus geschrieben (sie ist auch Autorin des Kataloges „Der Neuen Sachlichkeit“.)
Lehmbruck, den Schriftsteller Theodor Däubler, Willy Storck – Katalogautor) und Hermann Esch, einen Mannheimer Architekten. 3/
Das Jahr 1916
In diesem November 1916 eröffnete die Kunsthalle eine Einzelausstellung (und die größte erste Ausstellung in Deutschland) von Wilhelm Lehmbruck (1881-1919), der einen Monat später seinen Wohnsitz und sein Atelier nach Zürich verlegte.
Diese Einzelausstellung umfasste etwa 25 Skulpturen, zehn Gemälde und mehrere Grafiken, die Einführung zum Katalog schrieb Theodor Däubler. Der Mannheimer Industrielle und Mäzen Sally Fals hat darüber hin weg der Kunsthalle 1921 ein größeres Konvolut an Skulpturen geschenkt. Sie sind jetzt in der schönen Ausstellung – neben seinen Zeichnungen – zu sehen und machen deutlich, nach welchen Prinzipien er die Morphologie des menschlichen Körpers veränderte und letztendlich dadurch der fertigen Skulptur eine besondere Eleganz und eine ausdrucksstarke Wirkung verlieh.
Es ist ebenfalls spannend zu erfahren, wie viel der Mannheimer Mäzen Manfred Fuchs und seine Frau Lilo zur Ausstellung beitrugen – dank der Weitsicht ihres Vaters, des Kaufmann Hans Werle, der ab Anfang der 1960er Jahre systematisch Werke des Expressionisten erwarb, beginnend mit dem Gemälde „Landschaft am Nachmittag“ von Emil Nolde (1920). Später kamen Werke von Alexander von Jawlensky, Kirchner, Erich Heckel, Schmidt-Rottluff, Otto Müller oder Oskar Kokoschka hinzu. Kurzum, ohne diesen bedeutenden Beitrag wäre die Sparte des Mannheimer Expressionismus um einiges ärmer 4/.
Die aktuelle Ausstellung mit 50 Gemälden, 100 Grafiken und 30 Skulpturen würdigt auch die Pionierarbeit der beiden ersten Direktoren der Kunsthalle, die damals die ersten waren,
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3/ und Protagonist der aus England nach Deutschland „importierten“ Gartenstadtbewegung, bekannt durch den Neubau des Mannheimer Stadtteils „Gartenstadt“.
4/ Manfred und Lilo Fuchs haben zudem einen substanziellen Beitrag zu dem Neubau und der Erweiterung der Mannheimer Kunsthalle geleistet, so dass nun viel Licht durch die großen Fensterflächen hineinströmt.
die die Qualität en der Expressionisten erkannten und ihre Arbeiten erwarben, etwa von Ernst Ludwig Kirchner, Emil Nolde und Wilhelm Lehmbruck.
1937 dann ereilte ein Kahlschlag die Expressionisten-Sammlung, als durch die Nationalsozialisten mehr als 570 Arbeiten beschlagnahmt wurden. Es handelte sich dabei vor allem um Werke der Expressionisten. Der Verlust konnte – trotz allen späteren Schenkungen – nicht mehr wettgemacht werden.
Um so erstaunlicher ist der Reichtum der gegenwärtigen Präsentation in der Kunsthalle: Schon im ersten Raum stehen die wunderbaren Bilder aus der Sammlung Wehrle-Fuchs Juwelen aus der eigenen Sammlung gegenüber. Es gibt zahlreiche Korrespondenzen: nicht nur innerhalb der Werke eines Künstlers, sondern auch innerhalb der vielen sich ähnelnden Motiven – etwa in der Landschaftsmalerei der Brücke-Künstler. Leuchtende Farben dominieren auch bei Bildern, die über oder fast 100 Jahre alt sind – Expression ist hier das richtige Wort.
Wenn man dagegen genauer studieren möchte, welche Vielfalt es etwa im Bereich des Porträts geben kann – mit dem Pinsel, mit der Feder, mit der Holzabdruck – ist man in der Graphik-Sektion gut aufgehoben. Dazu kommt der Bereich der Skulptur mit sämtlichen großen Namen der Expressionisten – Lehmbruck selbstverständlich, aber auch Georg Kolbe, Ernst Barlach, Ernesto de Fiori und George Minne.
Kurzum – eine der wichtigsten Ausstellungen der letzten Jahre zum deutschen Expressionismus, mit einer überaus reichen Auswahl an Beispielen und Korrespondenzen zwischen ihren wichtigsten Protagonisten.